Am 9. Oktober 2012 entfachte eine Wutrede der australischen Premierministerin Julia Gillard, in der sie Oppositionsführer Tony Abbott als Frauenhasser brandmarkte, ein Lauffeuer von YouTube-Abrufen, Facebook-Posts, Tweets und Retweets im globalen sozialen Mediennetz. Die blitzschnelle, weltweite Verbreitung des Videoclips von Gillards Rede, und die Entfaltung einer damit verbundenen Diskussion zwischen Normalbürgern, Journalisten und Politikern, ist bezeichnend für die Art und Weise auf die Kommunikationsabläufe sich im digitalen Raum abspielen. In unserem Beitrag analysieren wir die Verbreitung des lokalen politischen Ereignisses im globalen digitalen Netzwerk, indem wir Retweet-Ketten des Videoclips anhand qualitativer und quantiativer Forschungsmethoden nachverfolgen und auswerten. Eine solche Untersuchung bietet Einblicke in die Entstehung globaler Kommunikationsmuster und öffentlichen Meinungsaustauschs.
Gillards flammende, aus dem Stegreif gehaltene fünfzehnminütige Rede gegen Sexismus und Frauenfeindlichkeit, in der sie es ablehnte, sich von ihrem politischen Erzfeind zum Thema Misogynie belehren zu lassen, wurde in Windeseile im digitalen öffentlichen Raum verbreitet und thematisiert. Innerhalb kürzester Zeit wurde das auf die Website des öffentlich-rechtlichen australischen Senders ABC sowie auf YouTube gestellte Video über 300,000 Mal angesehen. Aktuell hat das Video an die zweieinhalb Millionen Aufrufe auf YouTube. Auf Facebook verbreiteten sich Best-of-Ausschnitte der Rede und auf Twitter wurde das Thema unmittelbar zum „Trending Topic“. Die massive Verbreitung des Videos durch neue digitale Medien bietet Gelegenheit zu analysieren, wie sich Informationen im globalen Netz verbreiten, und zu erörtern was uns dies zu modernen Kommunikationsabläufen und -inhalten zu sagen hat.
Unsere Studie bezieht sich speziell auf die Verbreitung und Weiterleitung von Links auf Twitter, die auf den vollen Videoclip der Rede zeigen, der von der ABC auf ihrer Website veröffentlicht wurde. Im Rahmen eines bestehenden Forschungsprojektes, das zur Erstellung des Australian Twitter News Index (ATNIX) fortwährend sämtliche auf die einschlägigen australischen Leitmedien zeigenden Links erfaßt, die über Twitter verbreitet werden (Bruns et al. 2013), wurden auch die Tweets über das Gillard-Video bei der ABC von Anfang an von uns gesammelt; dies ermöglicht es uns, von den ersten Tweets am 9.10.2012 an die Weiterverbreitung des Videos durch Twitternutzer zu verfolgen. Ein besonderes Interesse gilt dabei vor allem den Ketten von Retweets, die das Video über das Netz von Twitterteilnehmern verbreiten, sowie der Frage, inwieweit solche Dissemination ein Ergebnis vieler einzelner originärer Tweets oder einiger weniger massenhaft geretweeteten ersten Tweets ist – und ob in diesen Prozessen die bestvernetzten Twitternutzer (als „opinion leaders“; Katz 1957; Katz und Lazarsfeld 1957) eine besondere Rolle spielen.
Durch diesen Ansatz ergibt sich daher zum einen ein detailliertes Bild der Disseminationsdynamik im vorliegenden Fall; zum anderen jedoch ist diese Fallstudie eines akuten Medienereignisses auch in der Lage, Einsichten in die allgemeinen Muster der Nachrichtenverbreitung auf Twitter zu geben. Da die nutzergesteuerte Weiterleitung von Links zu aktuellen Nachrichten eine immer größere Rolle im Informationskonsum der Netznutzer darstellt, ist die Untersuchung der Weiterleitungsstrukturen im Fall Gillard daher auch von allgemeiner Bedeutung.
Das durch soziale Medien verbreitete Video entfachte eine globale Diskussion im digitalen Raum zur Frauenfeindlichkeit und Frauenpower. Digitale Kommunikationstools ermöglichten es einfachen Bürgern, sich asynchron und unabhängig von zeitlichen und räumlichen Dimensionen (boyd, Golder und Lotan 2010) am öffentlichen Meinungsaustausch zu beteiligen. Innerhalb der weitläufigeren globalen Diskussion entstanden auch unterschiedliche lokale Reaktionen und Meinungen. Die Kommunikationsinhalte dieser neuen virtuellen Öffentlichkeit bieten reichhaltige Einblicke in moderne, globale Kommunikationsmuster. Durch neue Forschungsstrategien können diese digitalen Kommunikationsabläufe analysiert, und aktuelle kulturelle, soziale und politische Kontexte thematisiert werden.
Neue Kommunikationsabläufe erfordern neue Forschungsstrategien. Die Untersuchung der Retweet-Kette zur Gillard-Rede bietet Gelegenheit, solch neue Methoden hervorzuheben. Webberley, Allen und Whitaker (2011) bekunden, dass die Untersuchung von Retweets es Forschern ermöglicht zu analysieren, wie Informationen durch die soziale Struktur des Twitternetzwerkes verbreitet werden, um anhand dessen zu deuten, welche Art von Information die grösste Wahrscheinlichkeit hat, verbreitet zu werden. In unserem Beitrag veranschaulichen wir methodische Mittel, durch die Entwicklung und Verbreitung digitaler Diskussionen analysiert werden können. Eine solche Analyse bezeugt die wesentlichen Einblicke, die digitale Kommunikation uns in moderne soziale und politische Themen bietet.
Literatur
boyd, d., Golder, S., & Lotan, G. (2010). Tweet, Tweet, Retweet: Conversational Aspects of Retweeting on Twitter. HICSS-43. IEEE: Kauai, HI, 6. Januar.
Bruns, A., Harrington, S., & Highfield, T. (2013). Sharing the News: Dissemination of Links to Australian News Sites on Twitter. In J. Gordon, P. Rowinski & G. Stewart (Hrsg.), Br(e)aking the News (S. 181-210). New York: Peter Lang.
Katz, E. (1957). The Two-Step Flow of Communication: An Up-to-Date Report on an Hypothesis. Public Opinion Quarterly, 21, 61-78.
Katz, E., & Lazarsfeld, P.F. (1957). Personal Influence: The Part Played by People in the Flow of Mass Communications. New York: Free Press.
Webberley, W., Allen, S., & Whitaker, R. (2011). Retweeting: A study of message-forwarding in twitter. In Mobile and Online Social Networks (MOSN), 2011 Workshop on Mobile and Online Social Networks (S. 13-18). IEEE, 6. – 8. September.